Mittwoch, 5. November 2008

Angst 2

Sie fragen mich, was angst ist? angst kann sehr vieles sein, ich kann mich allerdings nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte mal eine angst in der art gefühlt zu haben, wie ich sie in der zelle nr. 47 empfand. wenn ich mir meine aufnahmen von damals anhöre, habe ich das gefühl, dass zwischen mir und meiner vergangenheit welten liegen; welten, von denen ich nur in den seltensten fällen einen Eindruck erhaschen oder eine erinnerung behalten durfte. das einzige,Was ich vom „damals“ mit ins „heute“ genommen habe, sind allen Anscheins nach die zigaretten.Ich erinnere mich noch genau an die worte von s., die er bei seinem einzigen besuch im suicide apartment äußerte: „und das da ist die Ecke, in der dein gehirn hätte kleben sollen“. er deutet mit dem Zeigefinger auf die weiße betonwand und grinste verlegen. „keine Ahnung, mit diesem haus stimmt etwas nicht. das merkt man schon, Wenn man durch den flur mit dem kalten licht geht“. „ja, du hast Recht“, erwiderte ich und bekräftige damit beide seiner aussagen. ich Weiß nicht, ob er mir damals meine verwunderung über diesen beweis Seiner empathie angemerkt hat, aber s. hat am frühen nachmittag Eines tages im sommer 2002 ein einziges mal jenes bild gesehen, das Jeden abend vor meinen augen aufgestiegen ist.Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich dieses haus jemals lebend Verlassen würde. ich habe gefühlt, dass es mich töten wollte; selbst Nachdem ein nachmieter gefunden und die wohnung der Hausverwaltung übergeben worden war, zweifelte ich noch daran,Dass ich es unbeschadet aus der tür hinaus ins tageslicht schaffen Würde. ich habe mich ans treppengeländer geklammert und bin stufe Für stufe ganz langsam und vorsichtig hinuntergegangen; ich Befürchtete, im letzten moment zu stolpern und mir das genick zu Brechen. als die tür hinter mir ins schloss gefallen war, wusste ich Intuitiv, dass es mit meinem leben noch bis zu einem gewissen punkt Weiter bergab gehen würde, deshalb konnte ich mich nicht freuen. ich Habe mich bis zum heutigen tag nicht mehr in die nähe dieses hauses Getraut, obwohl es das naheliegendste wäre, um meinen erinnerungen Auf die sprünge zu helfen.

Gegenwart. ich steige aus der dusche und sehe mir im spiegel dabei Zu, wie ich vergeblich versuche, meinen strubbeligen, nassen haaren Eine frisur zu verpassen, die auch nur ansatzweise gut aussieht. das Augenpaar, das mir aus dem badezimmerspiegel entgegenblickt, kenne Ich ganz genau. ich habe in den letzten 500 tagen unzählige male in Diese augen geblickt, und ihre blicke haben bände gesprochen, janis Holt mich aus dem narrenkästchen zurück auf den planeten erde; sie Springt auf den schrank neben dem waschbecken und bettelt mitIhren pfoten um meine hände. ich öffne das badezimmerfenster und Lasse neben der katze eine wolke heißen wasserdampf hinaus ins freie Steigen. das bad ist 100%ig angstfrei; das einzige, was mich an früher Erinnert, sind die negativen emotionen, die sich kurzzeitig in mir Aufbäumen, als ich mit der kalten luft zwangsläufig auch die geräusche Anderer menschen in meinem lebensraum hineinlasse. ich hasse esImmer noch, die anwesenheit von mir nicht geduldeter lebewesen In meiner nähe ertragen zu müssen. ich unterdrücke einen kurzweiligen Misanthropischen ausbruch; ich unterdrücke ihn, ich bewältige ihn Nicht. ich will ihn nie und ich werde ihn nie bewältigen können.In dem wirtshaus, in dem wir uns gezwungenermaßen an diesem Abend befinden, sitzt uns am tisch ein ehepaar in den mittleren Jahren gegenüber, das damit beschäftigt war, salzige und vor fett nur So triefende nahrung in schmatzenden münder zu schaufeln. der Mann zerreißt ein gebratenes huhn mit den händen und leckt sich Die finger ab. die frau schnappt hastig nach einer gabel, auf der sich Wässriger krautsalat befindet. die beiden erzählen uns stolz von ihren Blutwerten und behaupten, dass man, wenn man mit der nahrung zu Viel salz aufnimmt, einfach mehr trinken müsse. „ich trinke sowieso Viel bier“, sagt der mann und beißt in seine hühnerkeule. ich Kontrolliere kurz ein paar register in meinem kopf und komme Schließlich zu der feststellung, dass er den satz, den er eben sagte,Todernst gemeint hat und von der richtigkeit dessen inhalts überzeugt War. in meiner phantasie schreie ich den beiden „salz bindet das wasser In den zellen, verdammt noch mal!“ und „alkohol gilt nicht als Flüssigkeit!“ ins gesicht; in der realität halte in meinem mund und Versuche, mir den ekel, den die beiden in mir verursachen, nicht Anmerken zu lassen. auf ihren hochroten köpfen bilden sich über den Zusammengekniffenen schweinsaugen die ersten, kleinenSchweißperlen. angst beschleicht mich in dieser situation lediglich In dem augenblick, in dem ich mir eingestehen muß, dass diese beiden Menschen keinen blassen schimmer davon haben, was in der welt um Sie herum passiert und dass sie die grenzen ihrer köpfen niemals Überschreiten werden. Im bett beschleicht mich kurz ein gefühl, das mich an angst erinnert.Ich habe dieses gefühl an diesem ort oft empfunden, es war eine Form von angst, die ich vorher noch nicht kannte und die sich Mittlerweile auf ein minimum reduziert hat bzw. so gut wie gar nicht Mehr vorhanden ist. ich habe den eindruck, dass unter der Zimmerdecke negative energie hängt, die auf mich herabschaut. sie Wartet darauf, mich anfallen und auffressen zu können. ich weiß, dass Es mir eines tages gelingen wird, sie bis in alle ewigkeit aus diesem Raum zu vertreiben; falls sie nicht schon längst fort ist. ich missachte Völlig, dass es sich bei ihr möglicherweise um meinen eigenen hass Handeln könnte. „eines tages werde ich dieses haus abreißen lassen“,Denke ich müde. ich zünde eine kerze an und schlafe langsam ein. Am anderen morgen muß ich mir eingestehen, dass ich nicht wirklich Davon ausgegangen bin, während der nacht von einem klumpen Antimaterie gefressen zu werden.

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